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Ausgabe 29:Keine Angst vor einer verbeulten Gemeinde

Was lässt sich besonders schwer ändern? Mir fällt sofort ein: Gewohnheiten! Wenn ich an mich persönlich denke, füge ich hinzu: persönlicher Stil, Zeitpläne, auch meine Art zu sprechen.
Gregor Taxacher
Datum:
3. Okt. 2017
Von:
Gregor Taxacher

Denke ich an meine Umgebung - Arbeit, Gesellschaft, Kirche – sage ich sofort: die Strukturen! All das lässt sich schwer ändern, weil es mit der Zeit uns selbst, unsere Identität ausmacht. Jedenfalls scheint es das – und deshalb machen Veränderungen Angst. Hieße das doch: uns selbst ändern.

Zugegeben: Ich habe die Aufzählung dieser Begriffe nicht zufällig gewählt. Sie alle stehen in einem einzigen Satz der Enzyklika „Evangelii gaudium“ („Freude des Evangeliums“) von Papst Franziskus:

„Ich träume von einer missionarischen Entscheidung, die fähig ist, alles zu verwandeln, damit die Gewohnheiten, die Stile, die Zeitpläne, der Sprachgebrauch und jede kirchliche Struktur ein Kanal werden, der mehr der Evangelisierung der heutigen Welt als der Selbstbewahrung dient.“ (EG Nr. 27)

Im diesem Jahr hat der Arbeitskreis „Kirche und Gesellschaft“ den Grazer Pastoraltheologen Rainer Bucher eingeladen, über den Ansatz des Papstes einen Vortrag zu halten. Er erklärte uns, dass Franziskus diese erträumte Veränderung im spanischen Original „conversión pastoral“ nennt, also regelrecht eine Bekehrung.

Im Blick auf unsere Gemeinden ist mir eine Bemerkung von Rainer Bucher besonders im Gedächtnis geblieben, sinngemäß: Wir wünschen uns in unseren schrumpfenden Gemeinden, dass mehr von denen zu uns kämen, die an den Rändern stehen oder gar nicht (mehr) da sind. Aber was wäre, wenn sie wirklich kämen? Würden sie uns nicht sehr verschrecken? Weil sie so anders drauf sind, weil sie uns zu so vielen Veränderungen drängen würden?

Diese Frage durchzuspielen, wäre meines Erachtens ein konkreter Beginn der „conversión pastoral“. Sind in unserem Alltag nicht oft schon die anderen Gruppen - die jungen Familien, die Frauen, die Jugend - wie Fremde? Wie schwer tun wir uns, wenn die Jugend wohl gehütete Räumlichkeiten nutzen will? Oder wenn eine Gruppe Ungewohntes etablieren möchte? Wie ängstlich sind wir schon innerhalb unserer reichlich milieu-homogenen Kerngemeinden! Wie sehr würden neue Berufungen all das in Frage stellen: unsere Gewohnheiten, unseren Stil, unsere Zeitpläne, unsere Sprache, unsere Struktur?

In einem berühmten Interview spricht Franziskus von der „verbeulten Kirche“, die ihm lieber sei als eine der Verschlossenheit und Bequemlichkeit. Ich ahne, dass Gemeinden gerade in Deutschland besonders große Angst vor Beulen hegen. Das beginnt ja schon mit der Angst vor Beulen im wörtlichen Sinn, an all den Gegenständen, die wir als reiche Kirche besitzen.

Ich lebe und engagiere mich gern in unserer Gemeinde. Aber ich wünsche mir, dass einige berufene Fremde auftauchen, die uns die eine oder andere Beule zufügen, uns aus dem Gleichgewicht bringen und zu einer „conversión“ herausfordern.  

Gregor Taxacher ist Gemeindemitglied und Theologe an der Technischen Universität Dortmund.