Barmherzigkeit und soziale Medien
Knallhart und unbarmherzig entscheidet die Zugehörigkeit zur WhatsApp-Gruppe oder die Anzahl der Abonnenten bei Instagram über den sozialen Status vieler junger Menschen. „Geh dich verbuddeln und komm nie wieder, du Lappen!“, „Komm mit deinen Gefühlen klar, du Psychokind!“ „Guck dich an, du Hässliche!“
Fassungslosigkeit!
Diese Kommentare aus dem Schulalltag der Sekundar- stufe rütteln auf. Die sozialen Medien ziehen einen asozialen Umgang miteinander nach sich. War man in der Grundschule noch befreundet, ist man wenige Jahre später schneller „gedisst“, als man denken kann. Der barmherzige Samariter, der im zweiten Schuljahr noch einen klaren Gerechtigkeitssinn hervorrief, kann der Bedeutsamkeit der „Likes“ nicht mehr Stand halten. Die Coolness hat die Barmherzigkeit abgelöst. Endgültig?
Facebook, meine digitale Scheinwelt – jetzt bin ich dabei!
Im Handumdrehen sende ich ein Emoji als Gefühlsregung ins weite Netz. Ich bin glücklich und will es alle Welt wissen lassen. Zu leicht ist es, strahlende Bilder zu posten, auf denen ich der gewünschten Version meines Lebens so nah bin wie eine Parallele der anderen. Ich verstecke mich hinter der digitalen Fassade, die nicht nur die Jugendlichen zu perfektionieren scheinen. Permanent halte ich mein Leben in Bildern fest und stelle es ins Datennetz. Ich warte auf ein „gefällt mir“ oder besser noch auf Kommentare meiner Facebook-Gemeinde – sie sollen mein glückliches Leben bestätigen! Nichts tut sich. Nur kurzfristig liefert meine Scheinwelt eine glückliche Illusion. Immer noch kein Klick – und wieder bin ich nicht dabei. Keiner, der ein Herz für mich hat.
Der ein Herz für die Armen hat
Aus dem Lateinischen (misericors) übersetzt bedeutet Barmherzigkeit: der ein Herz für die Armen hat. Gemeint ist keine mildtätige Geldspende, sondern dass man sein Herz berühren lässt und Mitgefühl entwickelt für die, die arm sind: an Liebe, an Zuwendung, an Verständnis, an Zugehörigkeit … Und das nicht nur für die anderen, sondern auch für mich selbst. In einem Interview bekräftigt Walter Kardinal Kasper, dass man mit zunehmendem Alter auch sich selbst gegenüber barmherzig sein müsse. Die Gerechtigkeit sei das Minimalmaß, wie man anderen (und so auch sich selbst) begegnet, die Barmherzigkeit das Maximum. Wie barmherzig und gerecht handele ich also? Schaffe ich es, mein Herz für mich selbst und meine Mitmenschen immer wieder zu öffnen? Kardinal Kaspers Ansicht nach ja. Die Barmherzigkeit schaue auf den Menschen und gebe ihm immer wieder eine Chance, auch wenn er große Fehler begehe. Das sei entscheidend. Den umkehrwilligen Menschen verdamme Gott nicht. Auch mich nicht! Wenn ich also mit mir gerecht bin, bin ich es auch unweigerlich anderen gegenüber. Was bedeutet das für den Umgang mit den modernen Medien? Sind sie wirklich nur eine distanzierte, unbarmherzige Scheinwelt?
Distanz zum Kommunikationspartner kann auch förderlich sein
Die Negativbeispiele dürfen nicht das Maß sein, an dem wir digitale Barmherzigkeit messen. Denn ihnen gegenüber stehen die ständige Verfügbarkeit, der kurze Weg des Zuspruches, der geschützte Rahmen, in dem das Unsagbare schriftlich ausgedrückt werden kann, weil die Distanz zum Zuhörer emotionale Sicherheit bietet. All das darf nicht generell verurteilt werden! Das würde jene beschneiden, die durch soziale Netzwerke Halt, Kommunikation und Zugehörigkeit oder sogar emotionale Zuflucht finden.
Egal wie, womit, wann oder wo … am Schluss bleibt die Frage: Will ich daran mitwirken, dass Gerechtigkeit und Barmherzigkeit Kreise ziehen? Per Medium oder im realen Kontakt – ich möchte mein barmherziges Handeln nicht dem Samariter überlassen.