Gott begegnen
Und es passiert sogar Menschen, die dafür eigentlich gar nicht empfänglich sind: Als ein guter Freund - Kirche und Glauben gegenüber äußerst distanziert - von einer Reise aus Skandinavien zurückkehrte, berichtete er voll Begeisterung von einer Schiffstour durch die Fjorde. Er, der die biblischen Wunder für nachträglich Dazuerfundenes hält, gab in hohem Maße euphorisch zu, dass die Natur, die er dort erlebt habe, für ihn eine „Offenbarung“ gewesen sei, ein „Gottesbeweis“. „Seit Erschaffung der Welt wird Gottes unsichtbare Wirklichkeit an den Werken der Schöpfung mit der Vernunft wahrgenommen" (Röm 1,20) und nicht nur mit der Vernunft, sondern ganz wesentlich auch mit dem Herzen. Solche Erfahrungen des Göttlichen treten für den nicht-gläubigen Philosophen Wilhelm Schmid auf „bei ekstatischen Erfahrungen, in intensiver Sinnlichkeit, in der starken Bewegtheit durch Gefühle (…). Typisch dafür ist immer: Selbstvergessenheit, Zeitlosigkeit, Allverbundenheit, Intensität.“
Gott hat sich nach christlichem Glauben in Jesus Christus geoffenbart, in einem ganz normalen Menschen. Für die Kirche steht fest: Es wird keine weiteren Offenbarungen mehr geben. Gott bleibt für uns unsichtbar. Ich kann ihn mit meinen Sinnen und Möglichkeiten nicht zu einer Selbstoffenbarung bewegen. Er schweigt! Aber kann ich ihn trotzdem erkennen, ihm begegnen?
Im Staunen über die unfassbare Schönheit der Natur, der Kunst, der Musik; in der tiefen Dankbarkeit für ein lang ersehntes Geschenk, über Leben, unverdiente Fähigkeiten und Eigenschaften; im erfüllend-erhebenden Gefühl der Liebe und des Glücks, der Freude …
Gott wirkt, indem er bewirkt
Gottes Handeln erkenne ich an seinen Werken. Und Gott existiert und wirkt in seiner Schöpfung, auch durch das Handeln anderer Menschen, die sich von seinem Wort und seiner Liebe - Logos und Agape - lenken lassen oder gelenkt werden. Deshalb kann ich ihm in allem begegnen, was auf der Erde existiert. Er kann sich in einem überwältigenden Naturschauspiel zeigen, ebenso wie in einer kleinen runden Scheibe Brot; er kann uns im Wohlwollen eines bettelnden Obdachlosen begegnen, ebenso im Lächeln eines Babys; er taucht auf in der strapazierten Liebe des geduldigen Partners oder in der nervigen Weitsicht der Eltern; er schwebt als Taube vom Himmel, zeigt sich in brennenden, aber nicht verbrennenden Büschen oder in einem sanften Säuseln, und er offenbart sich in absolut konsequenter und selbstloser Gewaltlosigkeit bis zum erbärmlichen Foltertod.
Und ganz oft scheint er durch Abwesenheit zu glänzen, vor allem dann, wenn ich ihn so dringend gebraucht hätte oder wenn ich ihn händeringend suche, weil es mir an allem fehlt, vor allem an Sinnhaftigkeit. Doch wie sehr ich mich auch mühe und forsche: Gott begegne ich nicht planmäßig, nachweisbar oder ausschließlich im Kleinen oder Machtvollen. Nein!