Liebe ist …
Sei mir nicht fern, denn die Not ist nahe (Ps 22,12a)
„Gott ist Liebe“ – unglaublich: Gott ist danach kein personaler Gott, sondern eine Kraft! Aber noch viel mehr, denn Liebe ist Beziehung und bedarf eines Subjekts, Liebe schenkt Leben, ermöglicht Unglaubliches, Liebe ist überall verfügbar … Liebe war das zentrale Anliegen von Jesus Christus. Die wichtigsten Gebote hat er ganz klar benannt: „Du sollst den Herrn, deinen Gott, lieben (…). Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst.“ (Mt 22,37-39) Sie kennen dieses „Doppelgebot der Liebe“, das bei genauem Hinsehen ein Dreifachgebot ist:
Liebe zu Gott, zum Nächsten und zu mir selbst. Wenn Sie die Geschichten mancher Heiliger lesen, kann man sich schon mal fragen, ob da Selbstliebe nicht oft viel zu kurz kommt, das, was wir heute gerne mit „Achtsamkeit“ umschreiben: aufmerksam sein für die Zeichen des Körpers, der Seele, die zeigen, was gut für mich ist und was schlecht. Auf der Seite „heiligenlexikon.de“ finden sich viele unter dieser Prämisse fragwürdige Geschichten, die auf diese oder ähnliche Weise enden: „… starb ausgezehrt durch seine Arbeit und die Strenge gegenüber sich selbst.“ Entspricht eine solche Lebensweise dem Gebot „Liebe deinen Nächsten wie dich selbst“? Sind diese Christen mit Gottes Geschenken, mit Leib und Seele, verantwortungsvoll umgegangen? Wie viele Menschen hätten noch von diesen Heiligen profitieren können, wenn sie mehr auf sich geachtet hätten?
Ohne Zweifel gibt es Situationen, in denen auch extreme Selbstlosigkeit sinnvoll sein kann: Maximilian Kolbe, der als Priester ohne Kinder für einen Vater in den KZ-Hungerbunker ging und so einer Familie den Vater erhielt. Ebenso würden Eltern ihr eigenes Leben für ihre Kinder opfern, wenn sie ihnen dadurch mehr Lebenszeit oder Lebensqualität ermöglichen könnten.
Gott möchte, dass wir uns zunächst selbst lieben und dann erst den Nächsten.
Dafür müssen wir uns aber annehmen wie wir sind, mit allem Guten, aber auch den Schwächen, denn selbst die sind von Gott gegeben und gewollt. Ebenfalls das vermeintlich Negative unseres Lebens hat uns zu dem gemacht, was wir sind. Es hat mit Sicherheit auch positive Erkenntnisse und Veränderungen gebracht. Wir sollten gut für uns sorgen, denn jeder kann nur Kraft spenden, die man selber hat. Eigenliebe ist die Voraussetzung, um überhaupt lieben zu können. Auch für die Liebe zu Gott, denn einen abstrakten Gott zu lieben ist nicht leicht: Ich liebe die Musik von J.S. Bach. Ihn selbst kann ich nicht kennenlernen. Ich kann nur seine Musik hören, und die bewegt mich zutiefst. Aber gerade deshalb kann ich sagen, dass ich Bach für seine Musik liebe. Ist das nicht genauso mit Gott? Wir kennen seine Schöpfung, seine Geschöpfe, seine Liebe, die unser ganzes Leben durchzieht. Wir können sagen, dass wir Gott für seine Schöpfung lieben, dass wir ihn lieben, weil er uns liebe Menschen geschenkt hat … und vielleicht auch den einen, ganz herausragenden Menschen, den wir so sehr, besonders und exklusiv lieben!
Nach der Eigen- und Gottesliebe, die Nächstenliebe. Eine der schönsten Definitionen von Liebe, die sich besonders gut auf Nächstenliebe übertragen lässt, ist:
„Liebe ist die Freude am Glück des anderen“
Genau darin liegt der Wert einer echten Liebe: im voraussetzungsfreien Handeln für einen anderen. Die Liebe zu Menschen aber unterscheidet sich in ihren Ausdrucksformen nicht nur deutlich von der Gottes- und Eigenliebe, sondern auch abhängig vom Subjekt: Meine Familie liebe ich anders als Freunde, die Kölner liebe ich anders als meinen Partner … Da trifft es die griechische Sichtweise besser, die zwischen leidenschaftlicher Liebe (Eros), Freundesliebe (Philia) und der Liebe zu Gott und seiner Schöpfung und der Liebe Gottes und seiner Schöpfung (Agape) unterscheidet. Es wird klar, dass nicht alle Formen bedingungslos sind: Agape kann bedingungslos sein, denn sie ist inklusiv und schließt alle ein. So kann ich auch Menschen lieben, die ich nicht mag, oder sogar Feinde, denn die zu lieben hat Jesus uns ja auch aufgetragen. Philia hingegen - die Liebe zu Partner, Familie, Freundeskreis - ist exklusiv, mit ihr sind Bedingungen für das Zusammenleben verbunden. Monogamie oder generell Partnerschaft funktioniert nicht ohne Bedingungen, aber sie kann ohne Erwartungen funktionieren. Wenn ich einen Menschen partnerschaftlich liebe, dann gehe ich „liebend gerne“ Kompromisse ein. Je ähnlicher und näher sich zwei Menschen sind, desto leichter fällt das. Seelenverwandte brauchen keine Erwartungen zu erfüllen, weil bereits alle Wünsche erfüllt sind, was leider eher selten ist. Die meisten müssen für sich entscheiden, ob sie mit den Eigenarten des anderen leben können oder ob sie sich dafür zu sehr verbiegen müssen. Liebe aber sollte niemals den anderen formen wollen, sondern den anderen akzeptieren, wie er ist, so wie der deutsche Phhilosoph und Theologe Romano Guardini schreibt: „Die Liebe allein ist die Haltung, welche den Blick für das öffnet, was der andere wirklich ist. Sie gibt immer den anderen in seinem Wesen frei. Dem anderen gesteht sie zu, dass er Er-selbst werde. Eben dadurch wird sie sehend für das, was er ist.“
Ja: Liebe ist eine Haltung, kein Gefühl. Verliebt-Sein ist hingegen Gefühl, doch Gefühle sind flüchtig. Aus einer Haltung heraus können tiefe Gefühle entstehen wie Freude, Glück, Sicherheit, Stolz … aber auch Traurigkeit, Angst, Sorge oder Schmerz. All diese Gefühle - egal ob wir sie als gut oder schlecht empfinden - gehören zur Liebe dazu, denn Liebe ist immer beides: Freude und Leid. Beide sind von Gott gewollt, sie kommen sogar von Gott …