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Auch ein Pfarrer kann manchmal sprachlos sein:Stärker werden in der Schwäche

Jeder von uns erlebt in seinem Alltag besondere Situationen – Erfahrungen, die schmerzhaft sind, uns an eine Grenze bringen, aber so auch die Möglichkeit bieten, durch das bewusste Erleben und die Bewältigung zu wachsen.
Datum:
10. Feb. 2018
Von:
Das Gespräch führte Katja Fischborn

Doch was bedeutet es, ein solches Kreuz, einen Kreuzweg anzunehmen? Und wie geht jemand damit um, der oft mit Grenzerfahrungen in Berührung kommt, sowohl als Leiter einer Pfarrgemeinde als auch auf persönlicher Ebene? Darüber haben wir mit Pfarrer Karl-Josef Schurf gesprochen.

Was ist für Sie ein Kreuz, vor dem Sie Angst haben? Der Tod als ultimative Prüfung?

Pfarrer Karl-Josef Schurf: Ich möchte mir nicht selbst beweisen, dass ich etwas kann oder schaffe. Aber ich möchte jetzt nicht sterben und auch nicht so krank werden, dass ich in den Ruhestand versetzt werde. Ich habe schon die Sorge, irgendwann sowohl die offizielle als auch die alltägliche Arbeit nicht mehr vollziehen zu können und mir das eingestehen zu müssen. Das wäre ein Kreuz. Es gibt die bekannten Bücher von Elisabeth Kübler-Ross, ,Interviews mit Sterbenden‘. Sie schreibt, in der Situation von Leid, von Tod, von Kreuz gebe es verschiedene Phasen: Verbittert sein, verhandeln, kämpfen, einen Rückfall erleiden – erst die letzte Phase ist das Einverstanden sein. Das ist bei jedem verschieden, aber da ist etwas dran. Es ist mein großer Wunsch, dass ich sagen kann: Das ist zwar schlimm, aber ich bin angekommen. Das ist für mich die höchste Lebenskunst. Mit den kleinen und großen Vollzügen innerlich bei sich anzukommen, auch unfertig, und zu sagen: Das ist ein Stück meines Lebens.

Was war für Sie ein persönliches Kreuz, das Sie zu tragen hatten?

Pfarrer Schurf: Das war für mich die Erfahrung des Sterbens meiner Eltern. Ich hatte beruflich lange damit zu tun, bei Beerdigungen, Trauerbesuchen. Und auf einmal sind es die eigenen Eltern. Bei meinem Vater war das besonders heftig. Ich war gerade mitten in der Firmgruppe. Da musste ich ans Telefon und der Arzt sagte: ,Wir brauchen eine Entscheidung bis heute Abend.‘ Da musste ich auch damit klarkommen, dass mein Vater geht. Da habe ich zum ersten Mal heftig gespürt, dass ich an Grenzen komme. Verstandesmäßig, aber auch gefühlsmäßig. Das vergesse ich nie.

Wie war Ihre Reaktion darauf?

Pfarrer Schurf: In dem Moment, wo es darum geht, habe ich gemerkt, das geht, das machst du jetzt. Aber als die Entscheidung fiel, wurde mir ganz anders. Da wollte ich weglaufen. Ich habe das Gefühl gehabt, das ganze Leben verdichtet sich in der einen Situation. Es geht um alles. Vom Nachmittag bis in die Nacht hinein habe ich gedacht: Warum passiert uns das? Warum dem Vater? Warum müssen wir damit etwas zu tun haben? Doch ich habe auch gemerkt, dass man auf dem Weg zum Sterben, zum Tod, Kraft bekommt. Ich bin jemand, der den Dingen ins Auge sehen möchte, auch bei Konflikten. Da will ich alles im Griff haben und souverän sein. Ich habe gedacht, du hast durch Fortbildungen, durch Berufspraxis dieses Thema doch schon oft erlebt, jetzt bist du völlig sprachlos.

Haben Sie das Gefühl, dass das Durchleben Ihnen Kraft gegeben hat für neue „Kreuzwege“?

Pfarrer Schurf: Ich habe damals durchmachen müssen, dass Trauer, Loslassen, Abschied nehmen eine körperliche und psychische Leistung ist, Schwerstarbeit. Ich will es nicht missen. Beruflich gesehen weiß ich jetzt, wie Menschen zumute ist. Und dass es menschlich ist, dass auch ich nicht immer die Rolle habe, darüber zu stehen. Doch das Kreuz ist ja nicht immer tragisch. Ich habe zum Beispiel lange damit gehadert, dass ich immer aufgehalten werde, immer kommt mir etwas dazwischen. Heute sage ich mir: Das ist das Leben, das gehört zu deinem Weg. Kreuz ist für mich nicht immer sofort das Leid oder das Bild von Jesus am Kreuz. Das Kreuz ist auch ein Phänomen, ein Urbild: In der Mitte der vier Richtungen befindet sich das Herz. Auf diese Weise ist das Kreuz für mich ein sehr innigliches Bild.

Können Sie anderen auf einem solchen Kreuzweg helfen?

Pfarrer Schurf: Da gab es zum Beispiel ein Ehepaar, das sagte mir: Wir sind kurz vor der Trennung, wir wollen aber gerne nochmal mit dir reden. Ich habe nicht Partei beziehen können oder wollen, aber ich habe den Raum für Gespräche geöffnet. Es kommt vor, dass jemand um ein Gespräch bittet, weil er oder sie in einer Beziehung oder im Beruf sucht und Fragen hat. Da kann ich keine Ratschläge geben. Da kann ich nur aufnehmen, wie jemand Dinge darstellt, und zurückgeben, wie ich etwas erfahre. Seelsorge ist teilweise wie Therapie, aber noch anders, weil es auch um den lieben Gott geht. Da ist meine Hebammenarbeit, das Anliegen zur Welt zu bringen, das jemand mit sich trägt. Ich erlebe aber selbst auch, dass man sich manche Dinge von anderen sagen lassen muss. Das ist manchmal nicht einfach, aber ich möchte dem nicht ausweichen.

Ist man nach dem Durchleben solch schwieriger Erfahrungen wie dem Tod der Eltern oder einer Krankheit gestärkt, ein »besserer Mensch«?

Pfarrer Schurf: Besser nicht, aber reifer, stärker. Ich finde den Satz von Paulus etwas seltsam, der da sagt: Wenn ich schwach bin, bin ich stark. Da ist aber etwas dran. Ich muss nicht schwach sein. Das ist keine Tugend, die man sich wünscht. Aber in der Erfahrung der Not und der Grenze, wo man nicht sein möchte, und diese Gott sei Dank übersteht, kann ich sagen: Ich bin im Leben stärker geworden in der Schwäche.

Welche schwierigen Aufgaben sehen Sie, wenn Sie auf unsere Gemeinden schauen?

Pfarrer Schurf: Im Rahmen der Zusammenlegung ist es unglaublich schwer, das zusammenzuhalten. Man kann es nur ein Stück mitprägen, durch Gottesdienst, durch Begegnung, durch den Besuch von Festen. Ich bin jetzt mit der Diakonatszeit 35 Jahre im Dienst. Für mich war immer wichtig, dass die einzelne Person von Bedeutung ist. Das geht auch in der jetzigen Situation der Großkirche. Nicht jeden Tag, aber immer wieder. Ich kann und möchte nicht alle an mich binden oder an unser Team, aber ich möchte sie gerne mit oben verbinden.

Haben Sie nicht auch mal das Gefühl, an einer solchen Aufgabe zu scheitern? Man kann nicht jeden erreichen. Wie macht man dann weiter?

Pfarrer Schurf: Ich möchte Menschen zusammenbringen und freue mich, wenn die Kirche voll ist. Aber ich möchte mich davon frei machen, dass ich der Bestimmer bin, wenn auch prägend. Sondern dass Hauptamtliche und Ehrenamtliche, im Grunde jeder und jede, die Kompetenz mit uns tragen, Glauben und Leben zu gestalten. Darum ist es eine beruhigende Haltung, zu wissen: Wir sind ganz viele. Doch ich habe auch Situationen erfahren, wo ich mir sage, das hast du nicht gut gemacht. Vor über 20 Jahren hatte ich im Schulunterricht einen Jungen, der hat nur Unsinn gemacht. Den habe ich einmal hinten fest im Nacken gepackt. Da war ich an einer Grenze, ging nach Hause und war völlig fertig, wollte alles hinschmeißen. Da wollte ich bei ihm zu Hause anrufen und der Mutter sagen, was ich getan habe. Da hat die gesagt: Gut, dass Sie das gemacht haben. Da habe ich Glück gehabt.

Wenn Sie an die Kirche im Ganzen denken: Was für einen Weg muss diese gehen, um wieder im Leben der Menschen anzukommen? Ich denke da zum Beispiel an die Themen Zölibat oder das Priesteramt für Frauen.

Pfarrer Schurf: In den 80er Jahren ging es um die Frage: Dürfen Mädchen Messdiener werden? Heute ist das gar kein Thema mehr. Ich glaube, ähnlich wird es beim Priestertum der Frau und dem Zölibat sein. Wir müssen innerlich merken: Es geht nicht nur um Mann oder Frau sein, es geht um die Kompetenz des Getauftseins, der Firmung. Diese Kompetenz ist die erste und letzte. Und wenn das so ist, dann muss es auch eine Folge haben. Mich lässt nicht die Rolle als Priester leben, sondern die Liebe zum Menschen, der Glaube an den lieben Gott. Dann ist es nicht die Frage, welche Rolle eine Person hat. Wichtiger ist, was wir nach außen tragen. Wenn ich berührt bin von einer Fürbitte eines Kommunionkindes, dann kann das für mich schon alles sein an diesem Tag. Dann ist er oder sie, wer immer es war, ein Werkzeug, ein Sprachrohr, dass dieser Satz an mich herankommt.